Ein Tag im Leben eines Straßenhundes

Eine Baustelle irgendwo an der Westküste Thailands. Eine Fläche von geschätzten 10 Hektar. Es war Nachmittag. Die Temperatur von ehemals 32°C sinkt langsam mit abnehmendem Tageslicht um einige wenige Grad. Die Sonne hatte sich den ganzen Tag hinter Wolken versteckt und geht nun rasch unter. Hier in der Nähe des Äquators beträgt die Tageslänge immer um die zwölf Stunden von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Die Temperatur liegt das ganze Jahr über zwischen 28°C und 32°C, kann im Sommer aber auf 38°C ansteigen. Auch Nachts sinkt das Thermometer selten unter 28°C. Wenn die Sonne noch dazu scheint, ist es nahezu unerträglich heiß. Die Bauarbeiter der Baustelle schützen sich vor der Hitze und der Sonne durch Tücher, die ihr Gesicht bedecken. Alle tragen Hüte oder Helme, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Auch langärmlige Kleidung und lange Hosen halten die Sonnenstrahlen ab.

Doch die Bauarbeiter sind nicht alleine. Tagsüber, wenn dort gearbeitet wird, sieht man sie nicht. Doch im Schwinden des Tageslichtes, wenn die Arbeiter die Baustelle verlassen, dann kommen sie hervor. Im Schutze der Dämmerung, der Tageshitze entflohen, unbeobachtet und heimlich können sie nun ihre Deckung verlassen: Auf der gesamten Fläche leben mindestens fünf Gruppen von jeweils drei bis acht Straßenhunden. 

Phänotyp asiatischer Straßenhund

An drei Stellen sind Welpen dabei. Jeweils ein oder zwei Stück leben entweder alleine mit dem Muttertier oder integriert in eine Gruppe. Die Muttertiere sind in der Regel alleine unterwegs, wenn sie den Bau verlassen. Sie sind sehr wachsam, scheu und suchen sofort das Weite, wenn sie sich beobachtet fühlen oder ein Mensch sich nähert. Leben die Welpen in der Nähe einer Gruppe, verhalten sich die erwachsenen Tiere tolerant gegenüber den Welpen, täglich sieht man sie im freundlichen Sozialkontakt und Spiel.

Rudel, Gruppe oder WG?

Der Nachwuchs bleibt in der Nähe des Versteckes, das die Mutterhündin ausgewählt hat. Man sieht die Welpen nur selten, wenn sie sich absolut unbeobachtet und in Sicherheit fühlen. Sie folgen der Mutter erst, wenn sie einige Monate alt sind. Bis dahin bleiben sie im Versteck oder in der unmittelbaren Nähe desselben.

Welpenaufzucht - Welpensterblichkeit

An diesem Abend verlässt das Muttertier die Welpen, um auf Nahrungssuche zu gehen. Sie lebt inmitten einer Gruppe von vier anderen Hunden. Es handelt sich hierbei um zwei junge braune Rüden und eine junge braune Hündin, sowie einen schwarzen erwachsenen Rüden. Die Gruppe toleriert das Muttertier mit ihren Welpen, die soziale Unterstützung reduziert sich auf gemeinsames Spiel. Die Hündin sorgt alleine für den Nachwuchs, geht auf Nahrungssuche, übernimmt die Erziehung, sie zeigt später den Junghunden, wie man Nahrung aufstöbert und sorgt alleine für Sicherheit.

Fit für's Leben - was ein Welpe lernen muss

Sie verlässt das Versteck und lässt die Welpen zurück unter einer Blechplatte, die ehemals eine Dachabdeckung eines Unterstandes gewesen war. Die Baustelle war erst kürzlich eingerichtet worden und wuchs von Tag zu Tag. Man planierte die Flächen, betonierte und rodete. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Blechplatte entfernt werden würde, um dort eine weitere Fläche zu erschließen. Die Hündin stromert auf der Baustelle herum, auf der Suche nach Essensresten der Bauarbeiter. 

Woher kommen diese Hunde?
Auf ihrem Weg trifft sie Hunde ihrer Gruppe, läuft jedoch alleine weiter und kreuzt auch die Gebiete der anderen Hundegruppen. Die einzelnen Artgenossen sind ihr wohlbekannt, zu eng wird das Gebiet, auf dem sie alle leben. Die fortschreitende Baustelle drängt sie immer mehr zusammen, ein Ausweichen ist kaum mehr möglich. Doch solange es genug zu fressen gibt, tolerieren sich die Hunde untereinander und gehen sich aus dem Weg.

Territoriale Absicherung - Markierverhalten

Es ist nicht ungefährlich für die Hündin, alleine unterwegs zu sein. Doch die Anwesenheit von Artgenossen hätte nicht automatisch für mehr Sicherheit gesorgt. In ihrer Gruppe wäre nur der erwachsene Rüde in der Lage gewesen, sie zu verteidigen. So ist sie auf sich selbst gestellt und äußerst wachsam und vorsichtig. Sie legt eine gute Strecke zurück auf der Suche nach Fressbarem.

Wovon ernährt sich der Straßenhund?

Während ihrer Abwesenheit kriechen die Welpen aus ihrer Deckung und erkunden die direkte Umgebung ihres Versteckes. Von der anderen Seite der Baustelle nähert sich eine vierköpfige Gruppe anderer Hunde, die sich zielstrebig in das Gebiet der 5-er Gruppe unserer Hündin bewegt. Sie laufen angeführt von einem schwarz-braunen Rüden sehr gradlinig auf das Dachblech zu, vor dem die beiden zurückgelassenen Welpen mit einem Plastikstück spielen. Beide Jungtiere sind so in ihre Aktivität vertieft, daß sie die Gruppe erst wahrnehmen, als der Rüde steifbeinig vor ihnen steht. Die Welpen reagieren mit submassivem Verhalten, wie sie es den erwachsenen Tieren ihrer Gruppe gegenüber immer gezeigt hatten, um zu beschwichtigen und Respekt zu zollen. Der Rüde hat die Rute gerade nach oben gestreckt und wedelt damit hochfrequent und angespannt.
Aus der Deckung eines Nebengebäudes tauchen plötzlich die anderen Mitglieder der Gruppe um die Welpen auf. Der erwachsene Rüde bringt sich körperlich zwischen die Welpen und den Eindringling. Dieser weicht zurück, es kommt zu einem kurzen steifbeinigen Umkreisen der beiden Rüden und der schwarz-braune tritt den Rückzug an. Seine drei Kollegen folgen ihm. Sie laufen geschlossen zurück, woher sie gekommen waren. Die Welpen ziehen sich in die Deckung zurück und warten hungrig auf die Rückkehr des Muttertieres.

Der natürliche Lebensraum des Straßenhundes

Nach einiger Zeit kommt diese zurück und lässt die Welpen etwas trinken. Ihre Futtersuche war erfolgreich, legen doch die Bauarbeiter an drei Stellen Reis und Hühnchenfleisch aus. Die Hündin war satt gefressen und ruht sich nun bei den Welpen aus. Im Morgengrauen taucht auch der Rest der Gruppe auf. Die Hündin verlässt erneut das Versteck, um mit den Junghunden der Gruppe auf der noch menschenleeren Straße und im Graben zu spielen. Sie jagen hintereinander her, wobei jeder mal der Gejagte ist. Auch der Hochkampf auf den Hinterbeinen wird geübt und das Abdrängen mit Schulter und Hinterteil.

Spiel ist nicht ernst?

Bei Tagesanbruch kehrt sie zu den Welpen zurück, legt sich vor den Eingang des Versteckes und ruht sich aus. Die Welpen schlafen nach einer weiteren Mahlzeit erschöpft und satt ein und träumen mit zuckenden Gliedmaßen und schmatzendem Maul.

Den Tag verbringt die Hündin im schattigen Versteck. Die anderen Hunde ihrer Gruppe patrouillieren auf der Straße und legen sich hin und wieder ruhend am Grünstreifen nieder. Die junge Hündin schnappt sich eine Plastikfolie, in der Fisch eingewickelt war und rennt vor den jungen Rüden davon, die sofort die Verfolgung aufnehmen und versuchen, ihr die Beute abzujagen. Ein herannahender Reisebus stoppt die Verfolgungsjagd, die Hündin lässt die Folie fallen und stromert wieder schnuppernd durch das Gras.

Womit verbringt ein Straßenhund den Tag?

Als ein Tuk-Tuk auftaucht, kommt plötzlich Bewegung in die Gruppe. Der erwachsene Rüde startet durch und rennt bellend hinter dem Gefährt hinterher. Nach einigen Metern lässt er von dem Tuk-Tuk ab, dreht um und trabt wieder zurück zur Gruppe. Die Jungtiere hatten zugesehen und mit gebellt, sich aber nicht getraut, hinterher zu rennen.

Beutefang oder Verteidigung der Individualdistanz?

Auf der Straße fahren auch LKWs und Busse, seltener Autos. Diese Fahrzeuge erregen bei den Hunden keine Aufmerksamkeit. Sie traben aus dem Weg, um nicht angefahren zu werden, doch auch die Fahrer sind in der Regel eher darauf bedacht, die Hunde nicht zu überfahren. Gelegentlich gehen auch Menschen zu Fuß die Straße entlang. Handelt es sich um Bauarbeiter und Arbeiter aus dem gegenüberliegenden LKW-Verleih, haben die Hunde wenig Scheu, bleiben aber wachsam. Sind es hingegen fremde Menschen, die dort nicht arbeiten, wird eine größere Distanz gewahrt. Die Hunde laufen weg, die Rute zwischen den Hinterbeinen und manchmal mit wuffendem Gebell.

Beziehungen zu Menschen

Bei Sonnenuntergang verlässt die Hündin erneut das Versteck, um auf Nahrungssuche zu gehen. Die anderen Mitglieder der Gruppe verteilen sich ebenfalls auf der Baustellenfläche und suchen nach Reis- und Essensresten der Bauarbeiter, die bereits auf dem Weg in den Feierabend sind.

Plötzlich taucht erneut die Gruppe um den schwarz-braunen Rüden vom Vortag auf. Sie laufen zielstrebig zu dem Versteck der Welpen, der Rüde vorneweg. Die Welpen sind vor dem Blech und erkundeten die Umgebung. Einer von ihnen hatte einen Stock gefunden und kaut auf ihm herum, während der andere Welpe sich einige Meter von dem Bau entfernt hatte. Als der Rüde um die Ecke kommt, erschrickt der Welpe, duckt sich und zeigt sofort submissives Verhalten. Die Ohren klappen zurück, der Rücken wurde rund gemacht, die Rute eingeklemmt und der Blick von unten nach oben zum Rüden gerichtet. Doch die Unterwerfungsgeste des Welpen ignoriert der Rüde, packt den kleinen Hund direkt am Hals und beisst zu. Der Welpe schreit und quiekt, daß es über die gesamte Baustelle hallt. Der andere Welpe flieht direkt unter die Platte und kauert sich in der Ecke zusammen. Der Rüde schnappt nach und das Schreien des Welpen erstirbt mit dem letzten Atemzug.

Warum?

Das Schreien des Welpen erregt das Interesse eines Bauarbeiters, der sich langsam dem Blech nähert. Die Hundegruppe flüchtet beim Anblick des Arbeiters, der Rüde lässt den toten Welpen fallen und läuft mit den anderen über die Baustelle davon. Auf ihrer Flucht kreuzen sie den Weg eines anderen Arbeiters, der ihnen Steine hinterher wirft. Sie rennen über eine Betonplatte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach einem kurzen Blick unter das Blech geht der Arbeiter wieder zurück zu seinem Wachposten  als sei nichts gewesen. 

Mitgefühl? - Vom Umgang der Menschen mit den Hunden











Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen